Paris – Ratlos

Seit den Anschlägen in Paris sind inzwischen zweieinhalb Tage vergangen. In dieser Zeit habe ich die Nachrichten verfolgt, geguckt, was sich in den sozialen Medien so tut, die Blogs anderer Leute gelesen und auch über meine eigenen Reaktionen auf das Geschehene nachgedacht.

Etwas Kohärentes ist dabei nicht zu Stande gekommen, denn meine vorherrschende Stimmung ist nach wie vor die der Ratlosigkeit. Dennoch habe ich das Bedürfnis ein paar Gedanken zum Thema aufzuschreiben:

#prayforparis

Dieser Hashtag verbreitete sich nach den Anschlägen schnell, vor allem in Posts aus den USA. Ich als Atheistin kann dazu nur sagen: Nein. Gebete und die Gedankenkonstrukte (aka Religion), die dahinter stehen, haben diese Taten mit ausgelöst. Ja, ich weiß, das ist eindimensional gedacht, es steckt mehr dahinter, als nur religiöser Fanatismus, aber er spielt nun mal eine wichtige Rolle. Und ausgerechnet in so einer Situation als erstes zu Gebeten aufzurufen, empfinde ich als extrem unpassend. #singforparis, #danceforparis, #writeforparis, #kissforparis, #hugforparis, #enjoylifeforparis fände ich sehr viel passender, denn das sind genau die Dinge, die die Terroristen nicht wollen.

Aber in xyz passiert genauso Schlimmes/viel Schlimmeres und darüber berichtet keiner!

Ja, faktisch völlig richtig, aber in diesem Zusammenhang auch völlig irrelevant. Es ist vollkommen menschlich und normal, dass uns Ereignisse, die uns nahe liegen (emotional und geographisch) stärker interessieren und berühren, als Ereignisse, die in jeglicher Hinsicht weit von uns weg sind.

Paris liegt ca. 400 km oder 3 Stunden per Zug von mir entfernt. Ich bin schon mehrfach dort gewesen, kenne Menschen, die dort leben oder gelebt haben. Die Anschlagsorte oder deren Umgebung kenne ich teilweise aus eigener Anschauung. Daher betrifft es mich natürlich mehr, wenn dort etwas passiert, als an einem Ort, zu dem ich keinerlei Beziehung habe. Das mag man falsch oder heuchlerisch finden, aber so funktioniert der Mensch nun mal. Würden wir für jeden und alles im gleichen Maße Empathie empfinden, würden wir wahrscheinlich zusammenbrechen oder in Schockstarre verfallen. Damit wäre niemandem geholfen.

Das sind keine (richtigen) Moslems, das sind Mörder.

Nein, sie sind beides, denn das eine schließt das andere nicht aus. Man kann einer Religion angehören und gleichzeitig Mörder und/oder Terrorist sein. Die obige Aussage entspringt wahrscheinlich dem Wunsch auszudrücken, dass nicht alle Moslems Terroristen und nicht alle Terroristen Moslems sind. Das ist unbestreitbar richtig, widerspricht aber dennoch nicht der Tatsache, dass es Schnittmengen zwischen beiden Gruppen gibt. Je früher alle, egal welcher Religion oder Weltanschauung, die guten Willens sind, das zur Kenntnis nehmen, desto besser sind die Chancen, gemeinsam etwas zum Positiven zu verändern. Alles andere führt nur dazu, dass wir kollektiv den Kopf in den Sand stecken und uns dabei *lalala* singend die Finger in die Ohren stecken.

Da war auch mindestens ein Flüchtling dabei, also nehmen wir jetzt keine mehr auf.

Gleich ein doppeltes „Nein“. Zum einen ist noch nicht erwiesen, dass es sich tatsächlich um einen Flüchtling gehandelt hat. Zum anderen handelt es sich bei der ganz überwiegenden Menge der Flüchtlinge um Menschen, die vor Terror geflohen sind und mit Sicherheit kein Interesse daran haben, in ihrer neuen Nachbarschaft nun solchen anzuzetteln.

Aber einen anderen Aspekt sollte man in diesem Zusammenhang vielleicht mal viel stärker betonen. Terror-Organisationen wie der IS rekrutieren ja nicht nur im eigenen Land, sondern auch im westlichen Ausland und dort für gewöhnlich unter jungen, männlichen Moslems.

Kurzsichtig könnte man jetzt daraus den o.g. Schluss ziehen, denn wenn wir „die“ jetzt alle reinlassen, dann haben wir in einigen Jahren, spätestens in der 2. oder 3. Generation, ja genau dieses Problem.

Die Gründe für die Anfälligkeit dieser Personengruppe für eine Rekrutierung für den Terror liegen aber nicht alleine oder in erster Linie in der Religion. Sie liegen vor allem auch darin, wie erfolgreich eine Integration gelungen ist. Kaum ein Mensch kommt auf die Idee, das Land, das er als Heimat betrachtet, anzugreifen. Also besteht genau darin die Aufgabe: Dafür zu sorgen, dass möglichst alle (utopisch, ich weiß), die hier bleiben möchten, ihr jeweiliges Aufnahmeland als neue Heimat betrachten und das auch so an ihre Kinder und Enkel weitergeben. Die größten Feinde einer solchen, positiven Entwicklung, sind Ghettoisierung und Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben. Auch das ist selbstverständlich keine 100% Garantie, auch unter nach außen hin gut integrierten Personen hat es erfolgreiche Rekrutierungen als Terroristen gegeben. Aber die Erfolgsquote von IS und Konsorten dürfte deutlich sinken.

Was nun?

Das ist natürlich eine rein rhetorische Frage, denn wie alle anderen, halbwegs ehrlichen Menschen auch, muss ich eine Antwort hierauf schuldig bleiben.

Mir selbst haben sie Ereignisse nur erneut gezeigt, wie dünn meine eigene zivilisatorische Lackschicht eigentlich ist. Denn mein erster Instinkt nach den Anschlägen war: Alle IS-Mitglieder, Sympathisanten und Täter an die Wand stellen und draufhalten.

Den Bruchteil einer Sekunden später setzen dann zwar die rationalen, humanistischen und zivilisatorischen Gedanken ein, warum genau das die falsche Antwort ist. Extrem verkürzt und mit fünf Euro fürs Phrasenschwein: Gewalt erzeugt immer noch schlimmere Gegengewalt und es ist unabsehbar, ob und wer am Ende dieser Spirale dann übrig bleibt. Auf dem Weg dahin gibt es zudem unweigerlich massenhaft unschuldige Opfer. Außerdem will ich einfach nicht, dass sich unsere demokratische und aufgeklärte Gesellschaft auf ein solches Niveau herab begibt und damit alles, worum wir uns seit Generationen bemühen, das Klo runter gespült wird.

Aber kurz bricht sich dennoch die nach Vergeltung rufende, innere Stimme Bahn. Dass die Terroristen das in mir auslösen können, dafür verachte ich sie. Und mich auch.

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